Die Grundlage des keltischen Frauenmythos ist weit vor der Blüte des Keltentums zu suchen, in einer Zeit, in der noch das Matriarchat der Urvölker die Vorherrschaft hatte.

 

 

 

Im Neolithikum (6. Jahrtausend bis ca. 1800 v.Chr.) fingen die Menschen allmählich an, sesshaft zu werden und sich der Viehzucht und dem Ackerbau zuzuwenden. Unter diesem Aspekt hatte die Erde, in der alles wächst, eine enorme Bedeutung und wurde gleichgesetzt mit der Urmutter, der Mutter allen Lebens. Diese Urmutter zu verehren und ihr zu huldigen bedeutete, ihr Wohlwollen erlangen zu können und so in der Existenz nicht gefährdet zu sein.

 

Davon zeugen die vielen Funde von Frauenskulpuren mit deren teilweisen überdimensionalen Merkmalen der weiblichen Formen. Die Landwirtschaft trug erheblich zur Bewusstwerdung von Fruchtbarkeit und Zyklen bei, Eigenschaften, die man den Frauen nicht nur zuschreiben, sondern die dort erwiesen sind.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der mit einer Urmutter in Verbindung gebracht wurde, ist die Bedeutung des Wassers. Wofür moderne Wissenschaftler jahrelange Forschungen brauchten, war den Urvölkern schon lange vorher bewusst: alles Leben kommt aus dem Wasser. Und durch diesen Vorgang des Lebenschaffens wird aus dem neutralen Wasser eine Mutter, also eine Urmutter.

 

In vielen Gesellschaften wurde das tiefe und geheimnisvolle Wasser mit dem Weiblichen gleichgesetzt. In der keltischen Kultur sind, obwohl die Kelten nach aussenhin als patriarchalisch galten, immer noch die neolithischen Wurzeln des Mutterkultes zu beobachten, was sicher mit der Tatsache zu tun hat, dass auch die Kelten in erster Linie ein Volk der Ackerbauer und Viehzüchter und zum Bestreiten ihrer Existenz auf die Fruchtbarkeit des Landes angewiesen waren.

 

Dieses erklärt nicht nur die Fülle der weiblichen Gottheiten im keltischen Pantheon, sondern auch die Konzentration dieser Göttinnen auf Bereiche, die mit Fruchtbarkeit in Zusammenhang stehen.

Und interessanterweise, obwohl die Landwirtschaft in heutigen Europa lange nicht mehr die Bedeutung hat, die sie in alten Zeiten einmal hatte, hat sich die Vorstellung einer Muttergöttin bis in unsere Zeit gehalten.

 

Eine der wohl bekanntesten Figuren ist Maria, die Mutter von Jesus, die in einigen christlichen Gemeinschaften in Form des Marienkultes verehrt wird. In ihr findet man immer noch die wesentlichen Merkmale der grossen Muttergöttin. Und die Tatsache, dass Maria mit den unterschiedlichsten Beinamen genannt wird (wie. z.B. Notre-Dame de l'Eau) lässt darauf schliessen, dass sie nach wie vor auch stellvertretend für die verschiedensten Göttinnen steht.

 

So wie das Wasser vor Urzeiten in der Lage gewesen ist, ohne männliches Zutun Leben hervorzubringen, so sagte man auch Maria diese Fähigkeit nach. Bezeichnend für das Christentum ist dabei, dass die eigentliche Bedeutung Marias dabei zugunsten eines übermächtigen Gottvaters negiert wird und sie so auf die Position einer willenlosen Dienerin degradiert wurde.

Aber die Tatsache, dass Maria trotzallem eine gewisse Rolle bei der Entwicklung des Christentums beigemessen wird, zeigt nur um so deutlicher, dass die Muttergöttin immer noch da ist, auch wenn sie von einem allmächtigen Gottvater fast bis zur Unkenntlichkeit überlagert wird.

 

Es wird allmählich Zeit, sich von der Vorstellung eines allmächtigen Gottes zu verabschieden.

In einer Zeit, in der nachgewiesener Massen, Männer wie Frauen die gleichen Fähigkeiten haben und das Gerücht von Männern als das starke Geschlecht widerlegt wurde, in einer Zeit, in der man weiss, dass zum Lebenschaffen Männer wie Frauen notwendig sind, können ein Gott und eine Göttin gleichermassen bestehen, sofern man denn den Wunsch nach einer Theologie hat!